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Schulbuchlobbyismus auf der Didacta 2024

 

Auf der Didacta 2024 haben Prof. Dr. Nils Goldschmidt und Dr. Marco Rehm die neue Schulbuch-„Studie“ des Zentrums für ökonomische Bildung in Siegen (ZÖBIS) vorgestellt: „Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern - Eine Analyse der ökonomischen Inhalte in deutschen Schulbüchern“ (Link). Es handelt sich um eine weitere Auftrags-„Studie“, diesmal im Auftrag des Verbands Familienunternehmen e.V. / Junge Unternehmer und der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.  

 

  

1. Immergleiche "Ergebnisse"

Die „Ergebnisse“ solcher „Studien“ sind in der Regel vorhersehbar, weil sie sich aus der ihr zugrunde liegenden neoliberalen Ideologie ableiten. Aufgrund dieser teleologischen bzw. zielorientierten Herangehensweise wird wissenschaftliche Ergebnisoffenheit durch ideologische und normative Zielsetzung ersetzt. Diese immergleichen „Ergebnisse“ neoliberaler Auftrags-„Studien“ können wie folgt zusammengefasst werden:

 

a. Der Staat wird zu positiv dargestellt.

-> Ideologie: weniger Staat!

 

b. Das Unternehmertum wird zu negativ dargestellt.

-> Ideologie: mehr Markt!

 

c. Die Schüler*innen verfügen über zu wenig ökonomisches Wissen.

-> Norm: mehr Wirtschaftsunterricht in den Schulen!

 

d. Die Lehrer*innen verfügen über zu wenig ökonomisches Wissen.

-> Norm: Ausbildung der Lehrer*innen, aber nur neoklassische Ökonomik!

 

e. Die Lehrer*innen verfügen über zu wenig wirtschaftliche Praxiserfahrung.

-> Norm: Unternehmenspraktika für Lehrkräfte! (IW-1, IW-2Würth-Stiftung).

 

f. Die Bezugsdisziplin des Schulfachs Wirtschaft ist einzig und allein die neoklassische VWL bzw. BWL.

-> Norm: monodisziplinäres Fach!

 

g. Eine tiefgreifende Reform der Bildungspläne, Schulbücher und des Unterrichts ist nötig, ansonsten geht die Wirtschaft den Bach runter.

-> Ideologie: Wirtschaftskrisen sind auf mangelnde individuelle Wirtschaftskompetenz zurückzuführen (und nicht auf makroökonomische Effekte).

 
Im Folgenden werde ich überprüfen, welche dieser für neoliberale Auftrags-"Studien" typischen "Ergebnisse" in der "Studie" des ZÖBIS vorkommen. 

 

 

2. Wie ideologisch und normativ ist die "Studie"?

zu a. Der Staat wird unkritisch positiv dargestellt.

Trifft zu. Zitat: „[Der Staat] tritt in den Schulbüchern als benevolenter, paternalistischer Akteur auf, der über seine Bürger wacht und stets das Gute will. Eine kritische Betrachtung staatlichen Handelns findet nicht statt." (S. 3)

  

zu b. Unternehmertum wird ausgeklammert oder negativ dargestellt.

Trifft zu. Zitat: „Unternehmerische Initiative als treibende Kraft von gesellschaftlichen Veränderungen und dem Strukturwandel sucht man zumeist vergeblich. Über Unternehmertum und Gründung wird berichtet, sie sind aber in den Schulbüchern […] nicht handlungsleitend“ (S. 3). „Privatwirtschaftliche Initiativen oder marktliche Lösungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Probleme stehen im Hintergrund". (S. 3)

 

zu c. Die Schüler*innen verfügen über zu wenig ökonomisches Wissen.

Nicht Gegenstand der Studie, aber wurde auf der Didacta von Herrn Hoppe, dem Bundesvorsitzenden der Jungen Unternehmer, vorgetragen: „Es fehlt an Wissen über einfachste ökonomische Zusammenhänge. Ich bin überzeugt davon, dass die Exportnation Deutschland es sich nicht leisten kann, seinen kommenden Generationen notwendiges wirtschaftliches Wissen nicht zu vermitteln.“  (WirtschaftsWoche)

 

 zu d. Die Lehrer*innen verfügen über zu wenig ökonomisches Wissen.

Nicht Gegenstand der Studie, wurde aber auf der Didacta von Herrn Goldschmidt vorgetragen: „Da es nur in wenigen Bundesländern – wie etwa Baden-Württemberg – ein eigenes Fach Wirtschaft gibt, finde ökonomische Bildung "in verschiedenen Integrationsfächern statt", so die Studie. Dabei sei "das (Teil-) Fach Wirtschaft ein Fach ohne ökonomische Fachlichkeit", das nur selten von qualifizierten Fachkräften unterrichtet wird.“ (Zeit-Online)

  

zu e. Die Lehrer*innen verfügen über zu wenig wirtschaftliche Praxiserfahrung.

Kommt in der Studie vor und wurde nochmal auf der Didacta von Prof. Goldschmidt betont: „[B]esonders im Fokus der Kritik stehen die Autorinnen und Autoren der Schulbücher. Wenn überhaupt bekannt ist, welchen fachlichen Hintergrund die für die Inhalte Verantwortlichen haben, dominieren in den Fächern Wirtschaft und Politik in der Regel Lehrerinnen und Lehrer. Er vermisse in den Autorenteams Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftsdidaktik, sagt Nils Goldschmidt, Vorstand des ZÖBIS“ (WirtschaftsWoche)

  

zu f. Die Bezugsdisziplin des Schulfachs Wirtschaft ist einzig und allein die neoklassische VWL bzw. BWL.

Trifft zu. Zitat: „Das zentrale Ergebnis der Untersuchung ist: Schulbücher vermitteln nur in seltenen Fällen ökonomisches Denken. Wirtschaft in der Schule definiert sich über den Gegenstandsbereich – Unternehmen, Haushalte und Staat – und nicht über die Methode. Man spricht also zwar über Wirtschaft, aber nicht aus der notwendigen fachwissenschaftlichen Perspektive. Das (Teil-)Fach Wirtschaft ist ein Fach ohne ökonomische Fachlichkeit.“ (S. 3)

(Zur Kontroverse  Gegenstands-/ Wissenschaftsorientierung versus Disziplinorientierung siehe Hedtke 2016).

 

zu g. Eine tiefgreifende Reform der Bildungspläne, Schulbücher und des Unterrichts ist nötig, ansonsten geht die Wirtschaft den Bach runter.

Nicht Gegenstand der Studie, wurde aber auf der Didacta von Herrn Hoppe, dem Bundesvorsitzenden der Jungen Unternehmer, eingebracht: "Die Zeitenwende in der ökonomischen Bildung wird gerade verpasst" (ZEIT). Die Wirkung dieses Argument zeigt sich auch im Bericht von Herrn Posener über diese Studie. Er schreibt, die Studie „legt nahe“, dass die Art, wie über Wirtschaft in den Schulen gesprochen wird, für die [fundamentale, nicht bloß konjunkturelle Wirtschaftskrise] mitverantwortlich [ist]“ weil „in deutschen Schulbüchern das Unternehmertum, der freie Markt, der freie Welthandel eher als Problemschaffer denn als Problemlöser dargestellt wird“ (ZEIT).

   

 

/ Fazit: Die Studie erfüllt sämtliche Kriterien marktradikaler, neoklassisch-neoliberaler, kapitalfinanzierter Auftragsstudien /

 

  

3. Das Netzwerk hinter der Schulbuch-„Studie“

Das gesamte Netzwerk hinter der „Studie“ war auf der Bühne der Didacta vertreten: „Die […] Vertreter des ZÖBIS diskutierten die Ergebnisse der Schulbuch-Studie vor einem Fachpublikum gemeinsam mit Thomas Hoppe, Bundesvorsitzender des Verbandes Die Jungen Unternehmer, und Larissa Saar, der Themengebietsleiterin für Politiktraining und virtuelle politische Bildung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, unter der Moderation von Dr. Julian Dörr, des Leiters Digitalisierungs- und Innovationspolitik des Verbandes die Familienunternehmer.“ (Link)  

 

3.1 Die Auftraggeber

Die Studie wurde vom Verband der Jungen Unternehmer und der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Auftrag gegeben; beides finanzkräftige und gut vernetzte Akteure im Kampf um die Köpfe der Schüler*innen.

 

 

3.1.1 Verband der Jungen Unternehmen

Der Verband der Jungen Unternehmen gehört zum Verband der Familienunternehmer und wird von seinem Bundesvorsitzenden Herr Hoppe vertreten. Beide Verbände sind bereits seit Jahrzehnten als Mehr-Markt-weniger-Staat-Lobbyisten bekannt. Der Begriff „Familienunternehmen“ ist allerdings ziemlich irreführend: „Die rund 500 Förderer der Stiftung stammen allerdings nach eigenen Angaben "aus dem Kreis der größten deutschen Familienunternehmen. […] Der Verein hatte am 22.01.2022 6.000 Mitglieder und hat 2021 über drei Mio. Euro für Lobbyarbeit ausgegeben. Nur Unternehmen, die mehr als 1.000.000 Euro Umsatz erwirtschaften und mindestens 10 Mitarbeiter:innen beschäftigen, können Mitglied im Verein werden. Von knapp 2,5 Millionen Kleinst-, kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland im Jahr 2020 waren demnach nur ca. 400.000, also 16% überhaupt berechtigt, einen Mitgliedsantrag zu stellen“. (Lobbypedia, Familienunternehmer

 

Der Verband der Familienunternehmen hat bereits zahlreiche „Studien“ über ökonomische Bildung in Auftrag gegeben; immer mit den gleichen Ergebnissen: Mehr-Markt-weniger-Staat! So wundert es nicht, dass das Team von Herrn Goldschmidt ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt.

 

 

3.1.2 Friedrich Naumann-Stiftung für Freiheit (FNF)

Die FDP-nahe FNF hat ebenfalls bereits zahlreiche „Studien“ über ökonomische Bildung in Auftrag gegeben (FNF). Einige dieser Studien wurden durch das Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg (IÖB) ausgeführt. Das IÖB ist neben dem Zentrums für ökonomische Bildung in Siegen (ZÖBIS) ein weiterer wichtiger Lobbyist für die Verbreitung neoliberaler Ideologie in der Wirtschaftsdidaktik.  

   

/ Milliardäre kämpfen mit neoliberalen Stiftungen

um die Köpfe der Schüler*innen / 

 

3.2 Das Autorenteam und seine Netzwerke

3.2.1 Die Autor*innen

Das Autorenteam besteht aus Prof. Dr. Nils Goldschmidt, Dr. Marco Rehm und Romina Kron, alles Mitarbeiter*innen am ZÖBIS. Das ZÖBIS schmückt sich auf der Homepage mit einer ganzen Reihe neoliberaler Lobbyorganisationen als Projektpartner (u.a. die Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft, der Bankenverband, die Flossbach von Storch Stiftung, das Walter-Eucken Institut und das Wilhelm-Röpke-Institut). 

 

Herr Goldschmidt und Herr Rehm sind beides Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung e.V. (DeGÖB). Goldschmidt ist zudem u.a. stellvertretender Vorsitzender der DeGÖB, ehemaliger Vorsitzender und nun Vorstandsmitglied des Wilhelm-Röpke-Instituts und Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

 

3.2.2 Die Stiftungen

Herr Goldschmidt und Herr Rehm sind ebenfalls Autoren der OeBiX-Studien zur Ökonomischen Bildung in Deutschland, die im Auftrag der Flossbach von Storch-Stiftung angefertigt werden (Link). Diese Studien kommen ebenfalls – welche Wunder – zu den oben genannten „Ergebnissen“. 

 

Die Flossbach von Storch Stiftung ist – wie auch die Dieter von Holtzbrinck Stiftung, die Joachim Herz Stiftung und die Stiftung Würth – eine Stiftung,  a. die von einem Milliardär gegründet wurde, b. die über eine enge personelle Verbindung mit diversen Großkonzernen (bspw. Goldmann Sachs, Deutsche Bank, Bayer, Siemens, Hella) verfügt, und c. mit sehr großem Kapitaleinsatz um die Köpfe der Schüler*innen kämpft.

 

Herr Goldschmidt und Herr Rehm sind zudem Mitglieder der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V. (ASM; Herr Goldschmidt ist Vorsitzender). Die ASM verfügt ebenfalls über zahlreiche personelle Beziehungen zur Großkonzernen (bspw. Deutsche Bundesbank, Europäische Zentralbank) sowie zu neoliberalen Institutionen und ist ebenfalls im Kampf um die Köpfe der Schüler*innen engagiert (Lobbypedia).  

 

Im Rahmen der wirtschaftlichen Ausbildung der jungen Generation verfolgte die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft das Projekt "Soziale Marktwirtschaft im Unterricht". Daraus ist unter anderem der Sammelband "Ökonomisches Denken lehren und lernen" entstanden deren Mitherausgeberin Frau Brahm ist. Frau Brahm ist in Tübingen Professorin für Wirtschaftsdidaktik auf einer Stelle, die von der Dieter von Holtzbrinck gestiftet wurde…

  

By the way: über die Präsentation der Schulbuch-„Studie“ auf der Didacta erschienen völlig unkritische Berichte in der ZEIT und in der WirtschaftsWoche… zwei Zeitungen, die zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH gehören und „seit Jahren journalistische Kampagnen für ein Solofach ‚Wirtschaft‘ [fahren]“ (Hedtke). 

 

4. „Ökonomische Bildung muss ideologiefrei erfolgen!“

Die fünfte Forderung der hier besprochenen Studie lautet: „Ökonomische Bildung muss ideologiefrei erfolgen!“ (S. 1). Der Widerspruch zwischen dieser Forderung und der zutiefst ideologischen Studie ist eklatant. Es ist offensichtlich, dass dieses Argument der Ideologiefreiheit dazu dient, die eigene Position gegen Kritik zu immunisieren und andere Positionen als ideologisch zu diskreditieren.

 

 / Ideologisch sind immer nur die anderen / 

 

Es gab Zeiten, da waren die Studien transparenter. So erklärt das oben genannte Projekts Soziale Marktwirtschaft im Unterricht: „Dabei sollen auch der Gedanke einer Weiterentwicklung von Regeln im Sinne des neoliberalen Vordenkers Friedrich August von Hayek didaktisiert werden“.  (blogz4k, Lobbypedia). Hier wurde die ideologische Position noch klar kommuniziert.  

 

Die Tatsache, dass die Auftraggeber – und somit auch die Autor*innen Herr Goldschmidt, Herr Rehm und Frau Kron – in ihrer „Studie“ von Ideologiefreiheit sprechen, zeugt entweder von einer gefährlichen Naivität oder von einer kalkulierten Manipulation; in beiden Fällen ist dies mehr als problematisch für Wirtschaftsdidaktiker*innen…  

 

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